Das deutsche Schulsystem
Das Schulsystem in Deutschland erscheint auf den ersten Blick kompliziert oder gar unfair. Um sich eine ehrliche Meinung bilden zu können, sollte man es sich jedoch zunächst genau anschauen.
Zwei Dinge vorab: Erstens gibt es in Deutschland eine Schulpflicht, das heißt jedes Kind muss zur Schule gehen. Zweitens werden alle Schulangelegenheiten von den Ländern (= Bundesländern) geregelt. Es kann also sein, dass in Bayern andere Regeln gelten als in Hessen oder Hamburg.
Die ersten Jahre (Primarstufe)
Vor der Schule gehen die meisten Kinder in den Kindergarten. Dies erfolgt freiwillig. Es gibt heute Kindergärten für Kinder ab zwei Jahren. Meistens besuchen Kinder jedoch ab drei Jahren den Kindergarten. Im Kindergarten werden die Kinder spielerisch angeleitet und lernen den sozialen Umgang mit anderen Kindern, einfache Aufgaben zu erledigen, Farben und das Zählen bis 10 und feinmotorische Fähigkeiten, die später beim Schreiben lernen helfen.
In Deutschland beginnt die Schulpflicht im 6. Lebensjahr. Der Stichtag ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. Es gibt zudem Regelungen, die es einem Kind erlauben früher oder später eingeschult zu werden. Hierfür muss es aber einen Grund geben und die Eltern müssen einen Antrag stellen, der auch abgelehnt werden kann.
Die ersten vier Jahre gehen alle Kinder gemeinsam in die Grundschule. Hier lernen sie rechnen, lesen und schreiben. Sie haben außerdem Sachunterricht, das ist eine Mischung verschiedener Fächer wie Geografie, Biologie, Physik usw.. Außerdem gibt es Kunst-, Musik- und Sportunterricht. Englisch wird in der Regel ab der dritten Klasse unterrichtet.
Sekundarstufe
In der vierten Klasse erhalten alle Schüler von ihren Lehrern eine Empfehlung, auf welche Schule sie in Zukunft gehen sollen. Ab der fünften Klasse gibt es nämlich meistens drei Möglichkeiten:
- Hauptschule: Unterrichtsinhalte werden durch praktische Übungen und durch Wiederholung erlernt. An der Hauptschule wird oft nur eine Fremdsprache (Englisch) unterrichtet. Es gibt aber verschiedene Angebote praxisorientierte Fähigkeiten wie Kochen, das Arbeiten mit Holz oder Metall und ähnliches zu erlernen. Die Hauptschulzeit umfasst 5 Jahre und die Absolventen ergreifen oft handwerkliche Berufe.
- Realschule: Unterrichtsinhalte werden hier teilweise theoretisch und oft durch Wiederholung vermittelt. Meist kann der Schüler zwischen einer zweiten Fremdsprache oder einer Alternative wie z.B. Hauswirtschaft wählen. Nach 6 Jahren erhalten die Schüler den Abschluss und viele wählen dann eine Ausbildung im Büro, in der Verwaltung oder einem technischen Beruf.
- Gymnasium: Unterrichtsinhalte werden meist theoretisch vermittelt. An Gymnasien werden in der Regel zwei Fremdsprachen erlernt. Das Gymnasium wird heute meist nach der 12. Klasse abgeschlossen und die Schüler haben dann die Möglichkeit an einer Universität oder Hochschule zu studieren.
Flexibilität des Systems
Obwohl es so erscheint, dass bereits im Alter von 10 Jahren über den Beruf und die Zukunft der Schüler entschieden wird, ist der Grundgedanke ein anderer: Die Schüler sollen durch die Art, wie Unterrichtsinhalte vermittelt werden, optimal gefördert werden. Zudem ist das System durchlässig. So werden in vielen Ländern die ersten zwei Jahre dieser Stufe als „Orientierungsphase“ bezeichnet. Während dieser Zeit soll in allen drei Schulformen der gleiche Stoff vermittelt werden, so dass die Schüler bei Bedarf wechseln können. Zudem können Schüler nach dem Abschluss der Hauptschule an die Realschule bzw. nach Abschluss der Realschule an ein Gymnasium wechseln, wenn sie die dafür erforderlichen Noten haben. Außerdem gibt es viele weitere Möglichkeiten den gewünschten Schulabschluss nachzuholen, bzw. sogar automatisch zu erhalten. So erhalten Hauptschüler mit Abschluss einer dualen Ausbildung in den meisten Ländern automatisch den Realschulabschluss.
Weitere Schulen
Es gibt in Deutschland noch viele weitere Schulformen. Einige Bundesländer haben zum Beispiel nicht die Aufteilung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium sondern eine Gesamtschule, wo alle Kinder gemeinsam hingehen.
In den meisten Bundesländern gibt es zudem Förderschulen (früher Sonderschule genannt), wo lernschwache Schüler gefördert werden sollen. Diese Schulen stehen heute in der Kritik, da sie dem Anspruch der Inklusion von behinderten Menschen widersprechen.
Zudem gibt es viele Angebote, wo in Abendschulen oder Kollegs Schulabschlüsse nachgeholt werden können.
Meine Gedanken zum Schulsystem in Deutschland
Ich bin das beste Beispiel dafür, dass das System funktioniert: Ich habe das Gymnasium nach 6 Jahren mit dem Sekundarabschluss I (= Realschulabschluss) verlassen. Erst zehn Jahre später habe ich mein Fachabitur an einem Kolleg gemacht. Insgesamt habe ich drei Berufsabschlüsse: Bürokauffrau ( -> meist von Realschülern gewählt), Dipl. Betriebswirtin (FH) ( -> Gymnasium / Abitur notwendig) und Koch ( -> meist von Hauptschülern gewählt).
Perfekt ist das System natürlich nicht. Ich persönlich hätte mir mehr Förderung in bestimmten Fächern gewünscht, in denen ich besonders gut oder besonders schlecht war. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass viele Eltern, die das nötige Geld haben, ihre Kinder durch Nachhilfeunterricht fördern, so dass sie auf eine höhere Schule (Realschule oder Gymnasium) gehen können. Die Hauptschule wird somit zur „Restschule“ für Kinder aus sozial schwachen Familien.
Was denkst du über das deutsche Schulsystem?